Sterbewunsch und Angst vor dem Sterben
Sterbewunsch und Angst vor dem Sterben
Zum heutigen Zeitpunkt ist die ALS leider eine nicht heilbare, lebensverkürzende Erkrankung - wobei niemand vorhersagen kann, wieviel Zeit genau dem individuellen Betroffenen noch bleibt.
Diese Konfrontation mit der Endlichkeit des Lebens stellt für die Betroffenen eine existentielle Bedrohung dar, die Verzweiflung, Angst oder Ohnmacht und Sprachlosigkeit auslösen kann.
Manche Menschen erleben in dieser Situation eine große Angst vor dem Tod und dem Sterben. Diese Reaktion ist absolut menschlich, diese Bedrohung kann man nicht „wegreden“ – das Wesentliche, was in einer solchen Situation Linderung verschaffen kann, ist die physische oder emotionale Nähe der liebsten Mitmenschen, das Gefühl „jemand ist für mich da“, an meiner Seite.
Die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit kann einerseits mit dem Gefühl begleitet sein, dies nicht akzeptieren zu können – man will doch noch so viel erleben!
Andererseits entsteht für mache im Angesicht der durch die ALS zu erwartenden Einschränkungen und der Bedrohung des eigenen Seins aber auch ein Gefühl des Lebensüberdrusses. Sei es aus Angst vor dem, was kommt – vor körperlichem Leiden, vor einem qualvollen „Erstickungstod“ (der bei ALS üblicherweise nicht zu erwarten ist! - sprechen Sie uns dazu an), vor schlechter Versorgung oder ungewollten medizinischen Maßnahmen am Lebensende oder aus einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit oder der Sorge, Anderen zur Last zu fallen. Dies kann bis hin zu dem Wunsch gehen, das Leben möge lieber früher als später zu Ende sein – vielleicht sogar dem Wunsch, es selbst zu verkürzen.
Viele Betroffene berichten auch von einer starken Ambivalenz: einem unbändigen Lebenswillen auf der einen Seite und dem Wunsch danach, den Tod herbeizuführen der anderen.
Wenn auch Sie diese Gedanken beschäftigen: Bitte sprechen Sie darüber mit Personen, die für Sie persönlich dafür in Frage kommen. Fachkräfte mit Erfahrung in der Behandlung von ALS-Patienten – seine es Ärzte, Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Psychologen oder Seelsorger – werden Sie für diese Gedanken nicht verurteilen, für verrückt erklären oder in die Psychiatrie einweisen. Sondern Sie werden Ihre Gedanken und Gefühle ernst nehmen und – auch wenn es Ihnen unmöglich erscheint – vielleicht doch einigen Maßnahmen und Unterstützungsangebote anbieten können, um das Leiden, dass Ihren Gedanken zugrunde liegt, etwas zu lindern.
Manche Betroffene beschäftigt die Angst vor zunehmender Hilflosigkeit. Es droht ein Kontrollverlust, wir haben die Dinge sprichwörtlich nicht mehr in der Hand – dies stellt einen Kontrast dar zu dem, was wir im Leben kennen. Manchen Menschen fällt es einfach schwerer, durch andere versorgt zu werden und von ihnen abhängig zu sein, als Anderen. Wenn dies auch für Sie ein Punkt ist, der Sie bedrückt - versuchen Sie dem Gefühl von Kontrollverlust entgegenzutreten, indem Sie bestmöglich regeln, was für Sie am ehesten vorstellbar ist: Wer soll Sie pflegen und sich um sie kümmern? Pflegedienst oder Familie (wobei deren Grenzen der Belastbarkeit berücksichtigt werden müssen)? Welche medizinischen Maßnahmen wünschen Sie, welche nicht? Durch ausführliche Gespräche hierüber und die Erstellung von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung lassen sich manche Sorgen bezüglich einer Überversorgung am Lebensende, also ungewünschter lebenserhaltender Maßnahmenlindern – „Es wird nichts mit mir gemacht, was ich nicht möchte“.
Eine Angst, die viele ALS-Betroffene belastet, ist die vor dem Sterben durch Ersticken. Dies ist bei ALS in der Regel jedoch nicht zu erwarten! Bitte sprechen Sie diese Angst auch in der Sprechstunde an, wenn sie Sie belastet.
Zwar ist aktive Sterbehilfe in Deutschland – wie in fast allen Ländern der Erde – verboten und der ärztlich assistierte Suizid nicht gesetzlich geregelt.
Jedoch können Sie durch gute Vorsorge einige Dinge regeln, die Ihnen wichtig sind: Sie haben einen Rechtsanspruch auf eine Spezialisierte Palliativversorgung am Lebensende. Diese kann zum Beispiel im durch sogenannte SAPV- oder Brückenteams erfolgen: Diese unterstützen die Betreuung zu Hause unter anderem durch ganzheitliches Symptommanagement (also die Berücksichtigung der körperlichen, aber auch der psychosozialen und spirituellen Ebene), Beratung zu medizinischen Maßnahmen, psychosoziale Betreuung (für Patienten und Angehörige) und eine 24h-Erreichbarkeit und können so helfen, im vertrauten häuslichen Umfeld zu bleiben und unnötige Krankenhausaufenthalte zu vermeiden. Stationäre Hospize kommen als Aufenthaltsort in Frage, wenn der betroffene Mensch zu Hause nicht mehr ausreichend versorgt werden kann. Der behandelnde Arzt muss zuvor die Hospizbedürftigkeit feststellen, die Kosten werden durch Krankenkasse, Pflegeversicherung und Spenden getragen. Bei ambulanten Hospizdiensten sind hauptsächlich Ehrenamtliche beschäftigt, welche auch Hausbesuche anbieten. Sie stehen lebensverkürzend Erkrankten zur Verfügung für Gespräche und Fragen, zum einfach mal Zuhören, aber auch zum Spazieren gehen, Schach spielen oder Ähnlichem, für Beratungen zu sozialrechtlichen und palliativmedizinischen Themen, um Entlastung und Freiräume für Angehörige zu schaffen und um Betroffenen und Ihren Familien in der Zeit des Abschieds und der Trauer zur Seite zu stehen. Diese Dienste sind für die Betroffenen kostenfrei.
Im Rahmen einer Palliativbetreuung ist auch die sogenannte „Indirekte Sterbehilfe“ möglich, also die Gabe von Medikamenten zur Linderung von Leiden (Luftnot, Schmerzen, aber auch Ängste oder Unruhe), auch unter Inkaufnahme eines vorzeitigen Eintrittes des Todes. Zudem ist ganz grundsätzlich immer die sogenannte Passive Sterbehilfe, auch „Sterbenlassen“ genannt, möglich bzw. gesetzlich verankert. Dies bezeichnet das Zulassen des Sterbens durch den Verzicht auf oder die Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen wie künstliche Ernährung oder Beatmung auf Basis des Patientenwunsches. Deshalb sollte Sie Ihre Wünsche und Vorstellungen immer gut besprechen und dokumentieren.
Auch für Angehörige ist es schwer, mit dem nahenden Lebensende eines geliebten Menschen konfrontiert zu sein und umso mehr, wenn ein Sterbewunsch im Raum steht. Vielleicht wollen Sie als Patient nicht mit den Angehörigen oder Sie als Angehöriger nicht mit dem Patienten über diese Themen sprechen, weil es einfach zu nah, zu emotional, zu belastend ist - bitte suchen Sie sich jemanden im privaten oder medizinischen Umfeld, mit dem Sie offen reden können.
Vielleicht beschäftigt Sie im Angesicht der Endlichkeit der irdischen Existenz auch die Frage: Gibt es ein danach? Wie sieht das aus? Unabhängig von der Konfession können Sie da auch selbst „spinnen“ und sich hoffnungsvolle Bilder zeichnen, wie Sie z.B. im Himmel (als ehemaliger passionierter Rennradfahrer) die Wolkenberge auf und ab rasen oder von „ihrer Wolke“ auf die Liebsten aufpassen.
Manchen hilft auch die bewusste Auseinandersetzung mit dem, was wirklich wichtig war und ist im eigenen Leben: Für was bin ich dankbar? Für wen bin ich dankbar? Wie möchte ich in der Zeit, die mir bleibt, die Beziehung zu meinen Liebsten gestalten? Gleichzeitig gilt es zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die einfach nicht gut gewesen sind und es auch nicht mehr werden.
Der erste Schritt ist: Sprechen Sie bitte über die Dinge, die Sie am meisten bedrücken oder Ihnen am meisten Angst machen!